Dieser Blog wurde geboren, weil ich während der Yogalehrerinnen-Ausbildung angefangen habe, nach Bezügen zwischen Yoga und Politik zu fragen. Etwa parallel dazu ist ein Forschungsprojekt entstanden, angestoßen und koordiniert von Dr. Josef Merk, das sich ebenfalls mit der Frage nach den Innenräumen der Politik beschäftigt: Deepening Democracy. Unter diesem Label entwickelt sich gerade ein neues Werkzeug der Politikanalyse: Durch Demokratie-Aufstellungen werden Phänomene und Beziehungen im politischen Raum sichtbar, die sonst im Verborgenen liegen.

In einer Online-Veranstaltung haben Josef Merk, Susanne Socher von Mehr Demokratie und ich das Demokratie-Experiment vorgestellt und von verschiedenen Seiten beleuchtet.
Hier ansehen: Deepening Democracy, was es damit auf sich hat und warum dieses neue Politikanalyse-Werkzeug so wichtig ist.
Was ist eine Demokratie-Aufstellung?
Eine Demokratieaufstellung ist vereinfacht gesagt ein neues Format von Systemaufstellungen. Häufig werden Aufstellungen in der Familientherapie oder bei der Beratung von Organisationen eingesetzt. Deepening Democracy setzt sie nach dem Vorbild der Erkundungsaufstellungen als eine Methode der qualitativen Sozialforschung ein. Es sollen keine konkreten Probleme gelöst, sondern Zusammenhänge beleuchtet und neue Denkmöglichkeiten eröffnet werden.
Bei Demokratie-Aufstellungen werden Menschen stellvertretend für Elemente in einem realen oder virtuellen Raum aufgestellt. Die Elemente können ganz unterschieddlich sein, es können zwar Personen „vertreten“ werden, aber es können z.B. auch Gruppen oder Begriffe sein wie z.B. „die Bevölkerung“, „Partei xy“, „Bürgerbegehren“, „Form der Demokratie“, „das Verbindende“, „Ängste“…
Normalerweise weiß eine Person bei dieser Aufstellung nicht, wen oder was sie repräsentiert. Jede:r Aufgestellte folgt der eigenen Intuition und bewegt sich im Raum im Verhältnis zu den anderen Elementen und spricht stellvertretend für das eigene Element.
Im Nachgang wird das Gesehene und Gehörte bzw. das Wahrgenommene ausgewertet. Aus der Fülle von Informationen werden mit Hilfe eines neuen Auswertungsverfahrens in Kleingruppen Erkenntnisse formuliert, die für alle nachvollziehbar sind und greifbare Ergebnisse liefern.
Mehr über das Projekt erfahren: https://www.mehr-demokratie.de/themen/deepening-democracy/
Klingt abgefahren? Aber es funktioniert. Es scheint so zu sein, dass neue und für alle Teilnehmenden nachvollziehbare Erkenntnisse entstehen, wenn man sich auf ein solches Experiment einlässt. Kleiner Schwenk zum Yoga: Aus Yoga-Perspektive betrachtet mag das nicht sooo überraschend sein, wenn wir davon ausgehen, dass alle Wesen im Grunde Ausprägungen einer ursprünglichen Schöpfungskraft sind und somit auch tief verbunden, wenn die Wahrnehmung dafür nicht überdeckt ist. Aber rational erklärbar und messbar ist es eben (noch?) nicht. Und darum geht es auch gar nicht.
Wer kümmert sich in der Politik ums Ganze?
Der besondere Wert des Verfahrens entsteht durch das Anerkennen der geteilten Eindrücke. Es braucht etwas Mut, im politischen Raum das Nicht-Messbare, Intuitive gleichwertig und gleichberechtigt neben Zahlen, Daten, Fakten zu stellen, die natürlich wichtig bleiben. Im Grunde geht es um ein Zusammendenken von äußerer Struktur/Form und inneren Prozessen und Phänomenen. Auf der individuellen Ebene gibt es zahlreiche Ansätze, die die äußeren Strukturen und den Innenraum zusammenbringen: Menschen arbeiten an sich selbst, streben nach mehr Bewusstsein, Ganzheitlichkeit, Heilung, machen Therapien und „Wellness“. Aber was ist mit der kollektiven Ebene? Wer kümmert sich da „ums Ganze“? Am ehesten spielt es in Feldern wie Kultur und Kunst eine Rolle, teils auch schon bei Unternehmen oder Organisationen. Im politischen Feld geht es nach meinem Eindruck gerade erst los.
Wir – also ein Team von Mehr Demokratie e.V. – wollen das Format gerne mit weiteren Initiativen testen. Um das finanzieren zu können, läuft noch bis zum 19. Mai ein Crowdfunding-Kontest auf der Plattform Startnext: Wenn Deepening Democracy unter den zehn Projekten mit den meisten Unterstützer:innen (nicht mit dem höchsten Betrag!) landet, fördert uns die Hertie Stiftung nochmal zusätzlich mit mindestens 10.000 €.
Gerne jetzt mitmachen und eine kleine Summe spenden, damit dieses Demokratie-Entwicklungsprojekt weitergehen kann: https://www.startnext.com/deepening-democracy
Ende 2019 hatte ich meinen Prüfungsvortrag zu „Yoga und Politik“ aufgezeichnet…Seitdem ist einiges passiert. Wir sind in Deutschland gerade dabei, geloste Bürgerräte als neues politisches Instrument auf Bundesebene zu etablieren. Durch die Corona-Krise werden Bruchstellen, Kontroversen und „Baustellen“ unserer Gesellschaft offensichtlich. Zugleich erleben digitale Austauschformate einen Boom und es öffnen sich neue Möglichkeiten. Auf etlichen Online-Kongressen durfte ich inzwischen mit Yoga-Pausen experimentieren – ein weiteres Instrument, um Körper, Geist und Seele zu verbinden. Immer mehr habe ich den Eindruck:
Zwischenmenschliche Prozesse – im Kleinen und im Großen – gelingen dann am besten, wenn Da-Sein (also gut im eigenen Körper verankert sein), Klar-Sein (also geistig präsent sein) und Ganz-Sein (also auch seelische und ganzheitliche Aspekte einfließen lassen) zusammenkommen.
Bald gibt’s mehr dazu auf diesem Blog…