Ich komme gerade von Kreta zurück. Eine sonnige Insel sei das, hat man mir gesagt, eine karge, trockene, eine raue Insel, wunderschön. Letzteres kann ich bestätigen. „Genieß die Sonne“, hatten mir viele gewünscht. Und dann…Es hat geregnet, viel geregnet. Nicht jeden Tag, aber jeden dritten bestimmt. Und einmal so stark, dass das Wasser aus den Bergen einen neuen kleinen Fluss in den Sandstrand der Hafenstadt Rethymno gespült hat.
Zu meiner eigenen Überraschung hat mir das nicht viel ausgemacht – na gut, zugegeben, die elf Grad in den Bergen hätte ich nicht gebraucht ;-). Aber eigentlich habe ich innerlich gefeiert, statt einer kargen, felsigen Insel eine grüne, üppige, unglaublich „gewächsige“ Insel vorzufinden. Die Abkühlung im Meer tausche ich gerne gegen das Staunen darüber ein, wie sich die Vegetation, das Grüne, das Lebendige, beeindruckend langsam, geduldig und unaufhaltsam durchsetzt, zwischen den Felsen aufblüht und sich dort behauptet.

„Wie bescheuert ist das denn?!“, werden sich die Sommer-Sonne-Strand-Fans denken. Fakt ist: Kreta hat einfach Glück, dass es dort genug Wasser, genug Regen gibt. In ganz Griechenland hat es im vergangenen Jahr ungewöhnlich viel geregnet, so dass die Wasserspeicher wieder voller wurden. Wenn man einmal über das Meer nach Süden schaut, landet man in Libyen. Libyen gehört zu den Ländern, in denen das Wasser zeitweise so knapp ist, dass es abgeschaltet werden muss. Man nennt das „day zero“. Allein der Begriff krampft mein Herz zusammen.
Die „day zero“-Einschläge kommen näher. Bis nach Spanien, bis nach Italien, ja bis nach Frankreich. In einigen Ländern Südeuropas herrscht Winterdürre. Wer immer noch das Gefühl hat, Regen bis in den April hinein drücke auf die Stimmung, ändert vielleicht nach der Lektüren von Annika Joeres‘ Beitrag in der ZEIT zur Dürre in französischen Gemeinden seine Meinung (leider hinter Paywall, aber wirklich eindrücklich). Stell Dir vor, die Brunnen in Deinem Ort werden dauerhaft abgestellt. Stell Dir vor, Du willst zum Frisör und musst die Haare mit Wasserflaschen gewaschen bekommen. Stell Dir, vor Du willst trinken und es kommt nichts aus dem Hahn. Und dann frag Dich nochmal, ob es Dir wirklich etwas ausmacht, wenn Du heute den Regenschirm mitnehmen musst. Ob Du wirklich schlechte Laune hast, weil es ein kühler, ein nasser Frühling ist.
„Die Sonne“, wie mal ein feiner Mensch bemerkt hat, „bleibt immer da. Auch wenn sie gerade von Wolken verdeckt ist.“ Der Regen bleibt nicht. Er ist kostbar, er ist nicht selbstverständlich. Und deshalb will ich ihn feiern, deshalb sollten wir ihn feiern.

Zu Hause auf dem Tisch liegt ein Stapel Briefe, darunter auch ein Spendenaufruf von Oxfam. Sie sammeln Spenden für Somalia. „Wenn die Welt weiter wegschaut, werden bis Juni 1,8 Millionen Kinder unter fünf Jahren akut unterernährt sein“, schreibt die Hilfsorganisation. Der Grund: Dürre! Sie schreiben von einem Bauern, der durch die Trockenheit seine 200 Ziegen und Schafe verloren hat. Auf Kreta gibt es Unmengen von Ziegen und Schafen. Lebendige, gut genährte, freilaufende Ziegen und Schafe, die sich über fette Vegetation und Unmengen an Kräutern und Gräsern hermachen, die die Straßen blockieren, die einfach überall sind. Nachdem ich den Brief gelesen habe, klingt mir das ständige Blöken und Meckern, das Gebimmel der Schafs- und Ziegenglocken noch mehr wie Musik in den Ohren.
Für Somalia – oder andere von Dürre betroffene Länder – kann man u.a. bei Oxfam spenden. Sonst kann man ja nicht viel tun als einzelne Person. Regentänze machen vielleicht – in einem der vielen Beiträge zur Winterdürre habe ich gelesen, dass sie in Frankreich mancherorts um Regen beten. Nicht nur heimlich, jeder und jede mit der eigenen sorgsam verborgenen Spiritualität, wie „man das so macht“ als aufgeklärter Mensch. Sondern zusammen, viele Menschen aus einem Dorf, aus einer Region, weil sie anders nicht mehr weiter wissen. Und weil das wirkliche Verstehen dessen, was wir gerade erleben mit der Klimakrise, vielleicht doch nicht nur über den Kopf, sondern über den ganzen Menschen, über das Herz, über die Seele funktioniert.

Wir können verdammt wenig tun. Aber zumindest könnten wir aufhören, uns zu beschweren, wenn es bei uns, hier in Deutschland „schlechtes Wetter“ ist, wenn der Frühling auf sich warten lässt, wenn es viel regnet. Denn der Sommer wird kommen, soviel ist sicher und es ist wieder mit einem trockenen und heißen Sommer zu rechnen. Stell Dir vor, dass wir jetzt gerade das Wasser speichern, das wir in ein paar Monaten brauchen…
So wie Frederick, die Maus, in der Geschichte die Farben und die Sonnenstrahlen sammelt, um für den Winter vorzusorgen. Diejenigen, die in den 70ern oder 80ern aufgewachsen sind, und auch das Glück einer Kindheit voller Geschichten erleben durften, kennen vielleicht die Mäuse-Geschichten von Leo Lionni? Frederick, die Feldmaus, jedenfalls sammelt Farben, Sonnenstrahlen und Worte, während die anderen Feldmäuse Vorräte für den Winter sammeln. Als dann im Winter die Vorräte aufgebraucht sind, bringt er die Mäuse-Gemeinschaft mit seinen Erzählungen und Gedichten über die harte Zeit.

Ja, das waren die 80er – vor Tschernobyl, als die Mehrheit der Menschen (zumindest in Deutschland) noch glaubte, die Welt sei im Grunde in Ordnung, die Welt würde schon in Ordnung kommen. Wer weiß: Heute würde Frederick vielleicht Regentropfen sammeln – und die Farben der Pflanzen, die mit Hilfe dieses Regens wachsen können. Ich bringe euch keine Sonne aus dem Urlaub mit, sondern Regen und Grün und Pflanzen und Kräuter. Kreta ist übrigens eines der artenreichsten Gebiete Europas. Ich wusste das nicht. Und ich betrachte es als ganz persönliches Ostergeschenk, dass ich es jetzt erfahren durfte.
Wir müsen uns nichts vormachen: Nur weil es gerade mal viel regnet, sind die Klimaprobleme natürlich keinen Deut kleiner. Schon gar nicht, wenn wir über Deutschland hinaus schauen. Und trotzdem möchte ich im Moment mal durchatmen, mich mal kurz freuen und Hoffnung schöpfen aus der schlichten Tatsache, dass Deutschland und der Osten Deutschlands, wo ich leben, gerade – mal! – weniger trocken sind als in den Monaten zuvor. Das zeigt auch der Blick auf den Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums.



Vielleicht versucht der eine oder die andere, dem Regen vor diesem Hintergrund doch etwas Gutes abzugewinnen. Ein Perspektivwechsel ist ja manchmal sehr erfrischend. Dafür habe ich ein schönes Beispiel: Am Hafen von Rethymno steht eine Statue, die den Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit symbolisiert. Es ist eine Frau! Was für eine Frau! Sie geht trotzdem fast ein bisschen unter im Getümmel von Mopeds, Touris und Hafen-Geschäftigkeit, aber ich habe mich sofort in sie verliebt. Und ich habe sie mehrmals fotografiert, einmal bei Sonne und einmal bei Regen. Na, was denkst Du jetzt wohl? 😉


PS: Irgendein findiger Kopf wird die Frage bestimmt stellen…Ich bin nicht nach Kreta geschwommen. Die Zeiten, in denen Frauen von Göttern in weißer Stiergestalt abgeholt wurden, sind vorbei ;-). Auch ich bin geflogen. Und ich habe es gehasst. Ich weiß nicht nur, dass Fliegen eine Klima-Schweinerei und wie es ein guter Freund neulich formulierte „irgendwie unmenschlich“ ist. Ich fühle es auch. Mein ganzer Körper, mein ganzes Nervensystem können Fliegen nicht ausstehen. Auch deshalb vermeide ich es meistens über Jahre hinweg. Aber es ist gut und wichtig, die Welt zu sehen. Ich wünsche mir so sehr – auch für meine Kinder – dass irgendwann eine weniger klimaschädliche und trotzdem distanzüberbrückende Art des Reisens möglich wird. Und dass es dann noch eine Welt gibt, die es sich lohnt, zu sehen.
Du gehst. Und der Asphalt ist plötzlich naß
und plötzlich ist das Grün der Bäume neu
und ein Geruch wie von ganz frischem Heu
schlägt dir in dein Gesicht, das heiß und blaß
auf diesen Regen wohl gewartet hat.Die Gräser, welche staubig, müd und matt
sich bis zur Erde haben hingebeugt,
sehen beglückt die Schwalbe, welche nahe fleugt,
und scheinen plötzlich stolz zu sein.Du aber gehst. Gehst einsam und allein
und weißt nicht, sollst du lachen oder weinen.Und hier und da sind Sonnenstrahlen, welche scheinen,
Selma Meerbaum-Eisinger: Regen. Mai 1940.
als ginge sie der Regen gar nichts an.
